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Keynote zu Regionalen Wertschöpfungsketten

Keynote zu Regionalen Wertschöpfungsketten

Am 14. und 15. September findet in Bremen der Organic Cities Conference zum Thema "The Future of Organic Food" statt.

Im zweiten Programmblock hat Nadia als regionale Biolandwirtin gemeinsam mit Tina Andres (BÖLW) eine Redezeit zum Thema Regionale Wertschöpfungsketten erhalten. Hier ihre Keynote zum nachlesen:

Ich möchte meine Redezeit zum Thema „Regionale Wertschöpfungsketten“ nutzen, um meine ganz persönliche Sicht auf diesen Begriff darzustellen und berichte dazu von meinen Erfahrungen.

Wenn ich mich mit anderen über meine Arbeit unterhalte, hat mein Gegenüber meistens gar keine Idee von den Herausforderungen die mit einem Hof verbunden sind. Es fehlt eine differenzierte Vorstellung über die unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betriebe und die verschiedenen Urerzeugnisse.

Ich habe einen Mähdruschbetrieb. D. h. was ich baue, wird mit einem Mähdrescher geerntet. Dazu gehören Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsaaten. In der Bio-Fruchtfolge habe ich auf zehn Jahre betrachtet zwei Jahre Kleegras, eine Getreidesorte zweimal, eine Hülsenfrucht einmal, eine Ölfrucht einmal auf der gleichen Fläche.

Ich bewirtschafte mit rund 60 ha einen flächenmäßig durchschnittlichen bis kleinen niedersächsischen Betrieb.

Meine Böden sind sehr sandig, haben geringe Bodenpunkte. D.h. dort wachsen nicht alle Kulturen und auch der Ertrag der angebauten Kulturen fällt deutlich geringer aus, als auf Flächen mit besseren Bodenverhältnissen. Meine Flächen werden seit 1982 durchgehend ökologisch bewirtschaftet. Durch den Anbau nach BIOLAND-Standard erzielen wir etwas bessere Preise für unsere Ernte, ernten aber wiederum deutlich weniger als konventionelle Betriebe mit den gleichen Bodenverhältnissen.

Ich habe kleine Einzelflächen, viele Hecken und mit rund 8 bis 10 unterschiedlichen Kulturen pro Jahr eine große Vielfalt.

Ich würde sagen, wir machen das, was überall von einem „guten“ Bio-Betrieb gefordert wird. Das ist Stand heute sehr aufwendig und kann eine Familie nicht ernähren.

Getreide ist ein Grundnahrungsmittel. Steigende Preise, Lagerbestände, Verfügbarkeiten auf dem Weltmarkt sind immer wieder Gegenstand der Nachrichten und Politik. Doch ein niedersächsischer Mähdruschbetrieb, der eine schwarze Null erwirtschaftet, hat schon sehr viel richtig gemacht. Erst recht in Bio. Für Betriebe ohne Eigenland, die Land pachten müssen, im Übrigen eine noch größere Herausforderung.

Wenn die Rede von Brotgetreide ist, sprechen wir eigentlich fast nur von Weizen. Doch in unserer Region gibt es viele sandige Flächen, auf denen Bio-Weizen nicht wächst. Roggenbrote sind nicht ohne Grund historisch in unserer Region verbreitet. Roggen ist unser regionales Brotgetreide. Er kommt auf mageren Standorten zurecht, ist eine abtragende Frucht, kann also in der Fruchtfolge an hinterer Stelle gesetzt werden, wenn andere Kulturen bereits viele Nährstoffe aus dem Boden „gesaugt“ haben. Als Winterung wird er bereits im Herbst gesät und bedeckt so den Boden über den Winter. Roggen ist in unserer Region Teil einer gesunden Fruchtfolge.

Dennoch sind die Preise für Konsumroggen so gering, dass sich der gezielte Anbau nicht lohnt. Die Hauptfrüchte sind Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln. Sie müssen das Roggenjahr mitfinanzieren.

„Veredeln“ heißt auf den Roggen bezogen im landwirtschaftlichen Alltag, das Getreide als günstiges Tierfutter einzusetzen. Möglichst im eigenen Betrieb. So ist er betriebswirtschaftlich gesehen doch noch von Wert. Das Schicksal teilt im Übrigen die Erbse. Die wertvolle Hülsenfrucht landet in Niedersachsen fast ausschließlich im Futtertrog.

Das wirklich irre Bild, das den Zustand unserer Landwirtschaft für mich am besten bezeichnet, kann ich auf benachbarten Flächen beobachten: Dort wachsen Weihnachtsbäume. Es ist wirtschaftlicher fünf Jahre Weihnachtsbäume auf Ackerflächen anzubauen, die dann ein, vielleicht zwei Wochen unser Wohnzimmer schmücken, als fünf Ernten einer gesunden Getreidefruchtfolge einzufahren und zu vermarkten.

Nun zum Wortteil Schöpfung in der Wertschöpfungskette. Die landwirtschaftlichen Betriebe bauen Feldfrüchte an. Dafür benötigen sie Wissen, tragen Verantwortung für die Lebensmittel, für die Umwelt, Natur, Boden, Tiere. Sie tragen das Risiko während der Vegetationszeit, Ernte, Lagerung und Transport, sind von Wetter, Schädlingen, Verfügbarkeiten von Saatgut und Logistikkapazitäten, Dieselpreisen abhängig.

Ich habe vergleichsweise gute Verträge, mit Unternehmen, die im Markt eher hohe Preise zahlen. Dennoch ist der Anbau für mich einfach nicht lukrativ. Denn dazu gehören die Vorbereitung des Ackers, Saatguteinkauf, Bestellung der Fläche im Herbst. Die maschinelle Unkrautbekämpfung im Frühjahr, die Ernte und Trocknung im Sommer, die Einlagerung im Herbst. Dazu kommt der Transport zum Lieferort auf Abruf des Käufers, ggf. erst im darauf folgenden Frühling. Nach Abzug von Kleinkorn und Besatz folgt abschließend die Bezahlung. Von der Aussaat bis zur Lieferung vergehen bis zu 1,5 Jahre in denen die Landwirtin das gesamte Risiko und alle Kosten trägt.

Wenn alles gut ging, bekamen Betriebe in den vergangenen Jahren für Verbandsware zwischen 250 und 400 Euro pro Tonne Roggen. Von diesem Geld muss alles gezahlt werden: Maschinen, Diesel, Saatgut, Trocknung, Arbeitszeit, Versicherungen, Kammerbeiträge, Berufsgenossenschaft, ggf. Pacht, Lagermieten.

Wenn die Qualität nicht stimmt, gibt es Abzüge. In diesem Jahr gibt es gar nichts. Der lange Regen hat unsere Ernte auskeimen und so als Backgetreide unbrauchbar gemacht, der Futtermarkt ist überlaufen.

Hat alles geklappt, bekommt der landwirtschaftliche Betrieb am Ende geschätzte 10% des Erlöses beim Endkunden, wenn überhaupt. Die Rechnung stimmt in der absoluten Summe nicht. Und für mich auch nicht im Verhältnis, angesichts der oben genannten Risiken, Zeiten und Tätigkeiten die sich bei einem Glied der WertschöpfungsKETTE sammeln.

Was ist die Konsequenz daraus?

1. In unserer Region werden kaum Getreidesorten für die Humanernährung angebaut, sondern in erster Linie Energie- und Futterpflanzen.

2. Um wirtschaftlich Konsumgetreide anzubauen, müssen landwirtschaftliche Betriebe sehr groß sein und von Skaleneffekten profitieren. Das ist ja aber genau das, was wir nicht wollen: Ein fortwährendes „Höfesterben“ und Wachsen riesiger Agrarunternehmen mit großen Flächen, auf denen nur eine Kultur wächst, auf die man sich spezialisiert hat.

3. Eine Alternative ist die Direktvermarktung und die Nutzung regionaler und kürzerer Wertschöpfungsketten.

Letzteres klingt gut und wir versuchen uns aktiv daran.

Unseren Roggen bereiten wir so auf, dass Lene, Bio-Bäckerin in Bremen Vegesack, ihn zu Roggenbrot verarbeiten kann.

Wir füllen Linsen in Tüten und verkaufen sie direkt an Endkunden in unserem Pop-Up-Hofladen im Bremer Viertel oder liefern sie zum Bauernladen der Bremer Erzeuger- Verbrauchergenossenschaft.

Wir bringen Erbsen zu Victor, der eine Bio-Fermentationsküche hat und Tempeh sowie Miso herstellt.

Die Ölsaaten kommen zu Pamath, einer kleinen Ölmanufaktur in Bremen Nord. Manchmal funktioniert das.

Es bedarf jedoch viel persönlichem Einsatz der beteiligten Akteure, Mut, Risikobereitschaft, Frustrationstolleranz. Ehrlich gesagt, ist die Emotionalrendite hoch. Wirtschaftlich und auf die eigene Arbeitszeit bezogen rechnet man sich viel schön. Es macht ja auch ein bisschen Spaß.

Damit funktionierende Wirtschöpfungsketten entstehen und mein Mann mich nicht mehr fragt, ob ich nicht doch lieber in meinen alten Beruf zurückkehren und die Flächen einfach weiterverpachten möchte, muss sich viel ändern.

Diese Arbeit ist vielen regulativen und organisatorischen Hürden ausgesetzt. Der administrative Aufwand ist vor allem für Bio-Betriebe enorm. Es fehlt an regionalen Reinigungs- und Lagerkapazitäten, es mangelt an Logistik- und Aufbereitungsmöglichkeiten, an Ansprechpartnern und Fachwissen. Vor allem für kleine und mittlere Betriebe. Es krankt an Bürokratie und es fehlt an Institutionen, die bei Einzelproblemen pragmatisch helfen können.

Kontakt

Biohof Bremer GbR

Nadia Bremer, Claas Grünhagen

Riepholm 2; 27374 Visselhövede

Mobil: 0179 94 84 761

EMail: kontakt(at)biohofbremer.de