Zwei Bremerinnen und der Weg vom Roggenkorn zum Roggenbrot
Landwirtin Nadia Bremer und Bäckerin Lene Siemer sind sich einig, dass ökologische Lebensmittel mit kurzen Lieferketten, hergestellt aus regionalen Erzeugnissen einen besonderen Wert haben. So hatten die beiden Bremerinnen schnell ein gemeinsames Ziel: Das Roggengetreide von Bremers Ackerflächen soll in Siemers rund 85 km entfernten Backstube zu Roggenbrot verarbeitet werden.
„Dass eine Bäckerei die Frage nach der Herkunft der Hauptzutat eines klassischen Roggenbrotes auf den Acker genau benennen kann, ist eine absolute Ausnahme“, sagt Siemer, die sich darüber freut, dass ihre Kund*innen in Bildern die Wachstumsschritte des Getreides nachverfolgen können. Wie schwierig sich eine solche lokale Kooperation gestaltet, hätten Bremer und Siemer nicht gedacht, denn eigentlich passen beide Betriebe ziemlich gut zusammen:
Als genügsames Konsum-Getreide gedeiht Roggen auch auf den leichten, sandigen Böden von Bremer und spielt in der vielfältigen Fruchtfolge ihres BIOLAND-Betriebes eine zentrale Rolle. Eine jährliche Ernte zwischen 20 und 30 Tonnen ist auf dem Betrieb mit 55 ha Ackerland auch bei dem Anbau vieler unterschiedlicher Kulturen passend. Also ziemlich genau die Menge, die in der Backstube von Siemer jährlich als ungemahlenes Korn verarbeitete wird. Beide Betriebe sind seit Jahren bio-zertifiziert, beide arbeiten nach den strengeren Vorgaben von Verbänden, Bremer nach BIOLAND, Siemer nach Demeter-Standard. „Dass wir beide Bremerinnen sind, ich und mein Hof ebenso den Namen Bremer tragen, wie Lenes Roggenbrot, ist dann einfach ein unglaublich passender Zufall“, freut sich Bremer.
Hier finden Sie die Bilderserie mit Bildunterschriften.
Hier können die das Poster zur Kooperation herunterladen.
Hier können Sie die Lehrtafel Roggen von unserem Lehrpfad Landwirtschaft herunterladen.
Getreideanbau in unserer Region: wirtschaftlich unattraktiv
Die Umsetzung der Pläne war und ist dennoch eine ziemliche Herausforderung. „In unserer Region Getreide anzubauen, ist aktuell eher unwirtschaftlich. Die Preise für das Getreide sind für die Erzeuger*innen zu gering. Um wirtschaftlich zu arbeiten, muss eine Verwertung des Getreides erfolgen, es muss also verfüttert oder als Saatgut vermehrt werden. Schwankende Ernten durch bereits spürbare Auswirkungen des Klimawandels verschärfen die Situation“, erklärt Bio-Landwirtin Bremer und ergänzt: „Die lokale Infrastruktur ist für unser Vorhaben so gut wie nicht vorhanden. Das für den Konsum geeignete Getreide wird von den Landwirt*innen an wenige und dafür große Erzeugergemeinschaften und Dienstleister verkauft, die die Ware wiederum weiterverkaufen. Eine Direktvermarktung scheitert oftmals nicht zuletzt an fehlenden Lohnverarbeitungen.“
Getreideaufbereitung: der Flaschenhals bei der Direktvermarktung
Das eigene Getreide an einen Aufbereitungsbetrieb zu liefern und genau dieses Getreide gereinigt und in Säcken verpackt zurückzubekommen war der Flaschenhals der gewünschten Kooperation. Fündig wurde Bremer bei dem Familienunternehmen von Wolfgang Jost. Die Iburgshof Getreideaufbereitung in Belm bei Osnabrück reinigt jährlich rund 2.500 Tonnen Getreide und Hülsenfrüchte. Eine vergleichsweise kleine, aber professionell arbeitende Anlage. „Die lebensmittelrechtlichen Auflagen und steigenden Ansprüche der Kund*innen erfordert eine immer professionellere Aufbereitung. Die ist teuer und lohnt sich nur im großen Maßstab. Eine saubere Trennung der einzelnen Lieferchargen bedeutet zudem einen höheren Aufwand bei Reinigung der Anlage und der Zwischenlagerung des Getreides. Eine lokale Verarbeitung ist daher heute sehr selten“, sagt Jost.
26 Tonnen Roggen lieferte Bremer im August nach Belm, wo er bei Jost die einzelnen Reinigungsschritte durchlief: Steinausleser, Magnet, Poliermaschine, Tischausleser, Siebmaschine, Trieur, Metallausleser, Farbsortierer. 24 Tonnen wurden anschließend in 25kg Säcken auf Paletten gepackt.
Logistik: viel Planung und viel Improvisation
Den Roggen direkt auf einen Schüttguttransporter dreschen und ab Feld die 178 km von Riepholm nach Belm transportieren. Dort in einer freien Lagerbox abkippen und zwischenlagern. Nach der Reinigung Roggen in 25 kg Säcke verpacken, palettieren und mit einem entsprechenden LKW ins Lager nach Bremen bringen. Einlagern und wöchentlich eine Palette – 750 kg – in die Backstube fahren.
Klingt einfach, ist es aber nicht, denn Landwirtschaft ist von vielen Faktoren abhängig. Einmal stand die gesamte Kette. Doch als die ersten Körner aus dem Tank des Mähdreschers kamen, war schnell klar: das Getreide ist zu feucht. Neuer Erntetermin, zusätzlicher Zwischenschritt der Trocknung, Umladen von Trocknungsanhänger auf Transportanhänger, ein neuer Liefertermin musste gefunden werden.
„Das war schon eine ziemlich nervenaufreibende Phase“, erinnert sich Bremer. „Zumal der Platz in der Kette nicht gesichert ist, da ja viele zur gleichen Zeit nach Transporter und Getreidelagerplätzen suchen.“
Einhaltung der Bio-Auflagen als weiterer administrativer Aufwand
Um das Brot Bremer tatsächlich unter dem Bio oder gar BIOLAND-Laber verkaufen zu können, musste nicht nur der Aufbereiter entsprechend zertifiziert sein, sondern das von Bremer angemietete Lager in ihre Zertifizierung integriert werden. Die Backstube musste dem BIOLAND-Verband beitreten und hierfür eine Neu-Zertifizierung durchführen.
Stolz auf unser Produkt
Nadia Bremer und Lene Siemer sind stolz auf ihren „Bremer“ und freuen sich über umfangreiche Dokumentation ihrer Kooperation. Es ist ihnen wichtig, über die Herausforderungen in ihrem Alltag und die Besonderheiten ihrer Produkte zu berichten, denn viele wissen gar nicht, dass Roggen im Gegensatz zu Weizen auch ganz regional angebaut werden kann. Hinzu kommen die handwerklichen Herausforderungen an Bäcker*innen dieses Getreide mit durchaus schwankenden Eigenschaften zu verarbeiten oder kleine Details mit großen Auswirkungen wie herkunftsnachweisende Aufkleber auf allen Säcken, falsche Paletten, geplatzte Säcke …
Über Biohof Bremer und Backstube – Backen mit Leidenschaft
Nadia Bremer ist Bremerin und Bio-Bäuerin. In sechster Generation bewirtschaftet sie einen Biohof in Niedersachsen, den sie als GbR gemeinsam mit Claas Grünhagen führt. Roggen wird von jeher auf den Flächen ihres Hofes angebaut. Lene Siemer ist ebenfalls Bremerin und übernahm die elterliche Bio-Bäckerei in Bremen Vegesack. Neben dem Verkauf in der Filiale mit Café am Betriebssitz beliefert das Unternehmen rund 200 Wiederverkäufer. Darunter sind Bio-Fachhändler, Einzelhandel, Schulen und Kindergärten, Restaurants und Hotels. Eines ihrer meist verkauften Brote ist der „Bremer“, ein mit Sauerteig gebackenes Roggenbrot. Innerhalb eines Jahres verarbeitet die Bäckerei rund 30 Tonnen Roggenkerne und 80 Tonnen Roggenmehl zu unterschiedlichen Roggenbroten und -brötchen.